Unsere erste gemeinsame Trekkingtour - 154km ohne Vorbereitung
Oft hören wir Fragen wie „Wohin ging denn eigentlich euer erster Backpacker-Urlaub?“ oder „War euer erster Urlaub so genial, dass ihr nichts anderes mehr machen wolltet?“. In diesem Bericht beantworten wir die meisten Fragen zu diesem schönen Urlaub in Schottland und welche Erfahrungen und Erkenntnisse wir dort auf die harte Tour gewonnen haben.
2006 stand als erste gemeinsame Flugreise und vor allem als erste Wandertour überhaupt direkt der West Highland Way mit 154 Km auf dem Plan. Wir hatten davon gelesen und dachten uns, das wäre doch genau das Richtige für uns. Jung und naiv wie wir waren, interessierte uns weder fehlende Ausrüstung (kein Geld) noch die fehlende Fitness (keine Erfahrung). Was sind schon 154Km quer durch Schottland von den Lowlands bis in die Highlands?
Frisch verliebt schafft man alles und erträgt viel! (Dieser zweite Punkt hat sich spätestens am 2. Abend bei der Frage nach einem geeigneten Platz im Zelt für meine stinkenden Wandersocken schnell als falsch erwiesen.)
Unsere Vorbereitungen sind (leider) schnell erzählt: Essen vom Discounter, altes Zelt vom Discounter bei den Eltern geliehen, Regenjacke vom Discounter, alte Bundeswehrstiefel als Wanderschuhe, alte Rucksäcke, Isomatten und Schlafsack tun es die dünnsten um Gewicht zu sparen, !eine! Wanderung im Taunus für ca. 1,5 Stunden ohne Gepäck.
Das einzig wirklich Hilfreiche war zum großen Glück unser Wanderführer von Outdoor (Conrad Stein Verlag). Ohne den wären wir wohl völlig aufgeschmissen gewesen.
Aber ich möchte nicht vorgreifen. Voller Vorfreude ging es los.
Auf nach Glasgow zum Startpunkt des West Highland Way
Als Musikstudenten konnten wir unsere Instrumente leider nur für kurze Zeit im Schrank verstauen und so ging es 2006 für 15 Tage mit dem Billigflieger von Frankfurt (Hahn) nach Glasgow.
Bereits auf dem Weg von der Bushaltestelle zum Startpunkt in Milngavie ganz im Norden von Glasgow mussten wir bereits nach dem Weg fragen. Leider konnten wir den älteren, einheimischen Herrn nicht wirklich verstehen. Er hatte sich zwar riesig darüber gefreut mit uns zu reden aber wir wiederum hatten keinen blassen Schimmer was er uns erzählen wollte. Nach Englisch hatte es sich für mich definitiv nicht angehört….
Der erste Tag war die reinste Freude und genau so hatten wir uns das für die ganze Wanderung vorgestellt. Schöne Landschaft, strahlender Sonnenschein und Kraft ohne Ende. Wahrscheinlich wäre es auch immer so weiter gegangen, wenn nicht schon am zweiten Tag der Conic Hill auf uns gewartet hätte. Wir mussten uns mit unseren schweren Rucksäcken völlig verausgaben und kamen mit letzter Kraft am Campingplatz an. Dieser Berg war die reinste Hölle für uns und wir nannten ihn Hill of Death. (Hill = Hügel und die Höhe beträgt hochalpine 300m)
Aus Gewichtsgründen hatten wir für das Iglu Zelt keine Vorzeltstangen dabei und konnten abends das Zelt leider nicht richtig aufbauen da es weder Bäume noch Zäune zum Befestigen gab. Dies sollte sich ab jetzt durch den ganzen Urlaub ziehen. Super Idee! Meine alten BW-Stiefel haben auf jeder Seite an der Ferse zu einer stattlichen Blase beigetragen und die kleine Packung Nudelsuppe aus dem Aldi wollte meinen Hunger auch nicht so richtig stillen.
Wir hatten zwar keine Ahnung von Ausrüstung im Allgemeinen aber uns war schon vor der Tour bewusst, dass mit Abstand das Wichtigste die Gewichteinsparung sein würde. Aus diesem Grund hatte Nina komplett auf eine Isomatte verzichtet und nur eine silberne Abdeckfolie mitgenommen. Die meisten Leute benutzen so ein Teil um im Winter die Frontscheibe ihres Autos Schnee- und Eisfrei zu halten. Aber schlafen möchte da absolut niemand drauf. Ich hatte eine schöne, dünne Bundeswehrmatte dabei und dachte mir, wenn ich 2 Nächte beim Biwak in der Grundausbildung darauf überstanden hatte, dann sind ja 14 Tage nach jeweils anstrengenden Tageswanderungen auch kein Problem. Nach einer wirklich harten Nacht sind wir am nächsten Morgen weder erholt noch freudestrahlend aus dem Zelt gekrochen. Wir konnten uns kaum bewegen und von Wandern wollten wir vor lauter Muskelkater erst mal nichts wissen. An manchen Stellen in Armen und Beinen haben wir ganz neue Muskeln gespürt, von denen wir vorher nicht mal gewusst hatten, dass es sie gibt. Beim Frühstück wurde dann der Leitspruch für die nächsten Vormittage ausgerufen.
„Die ersten 30 Minuten tuts richtig weh, danach spürt man den Schmerz (fast) gar nicht mehr.“ So staksten wir los und versuchten uns an der wirklich wunderschönen Landschaft zu erfreuen.
Ernährung und andere Sorgen
Die Tagesetappen wurden länger und nach ein paar Tagen machte sich die „gesunde und ausgewogene“ Ernährung aus Fertignudeln, Nutella Brot und Fertignudeln deutlich bemerkbar. Die Kräfte ließen nach und es musste dringend Hilfe her. Ninas Mama hatte zum Glück den passenden Tipp und meinte ich solle doch einfach große Bäume umarmen um mir so Kraft spenden zu lassen.
Ich habe weder vorher noch hinterher so viele Bäume umarmt wie an diesem Tag. Ob es daran lag oder an der großen Portion Fish&Chips unterwegs kann ich heute nicht mehr beurteilen, aber wir sind auch an diesem Tag sicher und nur leicht lädiert am Campingplatz angekommen.
Da wir uns immer weiter Richtung Highlands bewegten, wurden die Nächte natürlich immer kälter. Mit zwei leichten Sommerschlafsäcken, die entweder für eine Hüttentour oder für Südeuropa geeignet waren, konnten wir auf voller Linie punkten. 8 von 14 Nächten lagen wir komplett angezogen in unseren Schlafsäcken und hatten Mütze, Schal oder in meinem Fall eine Stirnhaube vom Motorradfahren auf. Warum ich die Stirnhaube überhaupt mitgenommen hatte ist mir bis heute ein Rätsel aber in jenen Nächten war sie Gold wert.
Die Muskulatur gewöhnte sich langsam an die tägliche Anstrengung und wir kamen immer besser voran. Wanderstöcke hatten wir natürlich keine dabei aber dafür waren unsere Rucksäcke der Hingucker schlecht hin. Eingestellt wurden beide Rucksäcke nie auf uns und Ninas alter Discounterrucksack war viel zu groß und hat ihr überhaupt nicht gepasst. Nur mit einer vollbepackten Plastiktüte konnte man das Loch zwischen Rückenteil und Rücken füllen, so dass sie weiterlaufen konnte.
Mit zig Plastiktüten behangen erstrahlten beide Rucksäcke in den verschiedensten Farben.
Wer braucht schon Travel Lite?
Allgemein haben wir wohl ein sehr schönes Bild abgegeben, denn überall haben uns die Leute angelacht und auf uns gezeigt. Man muss dazu sagen, dass zu dieser Zeit in Schottland TravelLite in Mode kam. Hierbei wird der Großteil des Gepäcks mit dem Auto von Unterkunft zu Unterkunft gefahren und man selbst läuft nur mit einem kleinen Tagesrucksack durch die Gegend. Ihr könnt euch bestimmt denken wie unsere Meinung zu diesen frisch geduschten, wohlriechenden, gut gelaunten und schnellen Wanderern war. Den Vogel hat aber ein englisches Pärchen abgeschossen. Gemütlich (aber völlig fertig) auf einem Baumstamm sitzend haben wir die wohlverdiente Mittagspause verbracht als uns die Dame zuerst genau musterte und dann rüberkam und uns ganz berührt mit den Worten: „Do you want something to eat?“ ihr Essen anbot. Ach ja, bei TravelLite bekommt man auch noch ein Lunchpaket mit auf den Weg. Für erfahrene Wanderer, die ihr Gepäck den ganzen Weg selbst tragen, kam das natürlich einer Beleidigung gleich und Nina und ich haben uns (ganz) kurz angeschaut und dann dankend angenommen. Genüsslich wurde das ganze Lunchpaket an Ort und Stelle verdrückt.
Eine interessante Erfahrung habe ich in der zweiten Wanderwoche gemacht. Gut vorbereitet konnte ich auf beide Blasen ein Blasenpflaster kleben und war stolz über meine Voraussicht. Es konnte ja keiner ahnen, dass sich am Rand eines Pflasters dann direkt die nächsten Blasen bilden. Das Höchste der Gefühle waren 4 Blasen gleichzeitig an einem Fuß. Und wir sprechen hier nur von der Ferse. Irgendwann waren Blasen unter Blasen. Am Ende habe ich die Pflaster einfach weggelassen und bin weitergewandert. Keine schöne Sache aber auch hier greift unser Leitspruch. „Die ersten 30 Minuten tuts richtig weh, danach spürt man den Schmerz (fast) gar nicht mehr. „
Welch schöner Platz für ein Zelt!
Um die tolle Landschaft in vollen Zügen zu genießen kamen wir auf die glorreiche Idee wild zu campen. Die Seen in Schottland sind beeindruckend und einladend und es gibt viele schöne Stellen direkt am See, wo ein kleines Zelt gut hinpasst. (Komisch, dass außer uns wohl niemand auf diese Idee kam?!) Das Zelt wurde aufgebaut und nach 5 Minuten sagte ich zu Nina „Oh schau, was ist das für ein kleiner Käfer auf meiner Hand? Und hier sind noch ganz viele!“
Schnell hatte sich geklärt, dass es sich um kleine Zecken handelt und dass wir wohl mitten in einem Nest unser Zelt aufgebaut hatten. Hunderte waren überall und es gab selten Momente in denen wir ein Zelt schneller abgebaut hatten wie an diesem Nachmittag.
Zwei Tage später kamen wir im Moor an einer traumhaften kleinen Lichtung vorbei. Da wir nichts dazu gelernt hatten fragten wir uns wieder, warum denn hier keiner sein Zelt aufgebaut hat.
Das Zelt war eingerichtet, die Plastikfolie wurde ausgebreitet, der Sommerschlafsack zurechtgelegt und der Gaskocher angeworfen. Leider haben wir nicht mit den 1000 Midges gerechnet die scheinbar nur auf uns gewartet hatten. (Culicoides impunctatus, in Großbritannien, Highlands Midges genannt, ist eine blutsaugende Insektenart aus der Familie der Gnitzen)
Das Moskitonetz in unserem Billigzelt hätte mit seinen großen Löchern wohl nur Pferdebremsen aufgehalten aber leider nicht diese kleinen Biester. Also wieder alles zusammenpacken und weiter.
Leider hatten wir uns an diesem Tag mit der Strecke zuvor schon verausgabt und auf den nächsten 10 km ging es durch den Nationalpark und somit war an campen nicht zu denken. Satte 35km sind wir an diesem Tag gewandert und haben uns zur Feier des Tages ein Bed&Breakfast Zimmer gegönnt. Die verschwitzten Klamotten wurden in den Schrank gehängt und es gab nach einer heißen Dusche zum Abschluss des Tages ein festliches Abendessen. Einfach herrlich. Trotz der 35km waren wir nach einer Nacht in einem warmen Bett ausgeschlafen und voller Tatendrang. Leider hat es uns fast umgehauen als ich die Schranktüre geöffnet habe. Das war wohl nicht meine beste Idee. Wir sind schnell und ohne Verabschiedung gegangen und ich bin mir bis heute nicht sicher, ob sie dieses Zimmer je wieder vermieten konnten……
Das nächste große Highlight waren die Devil’s Staircase (zahlreiche Serpentinenkurven, die den West Highland Way von 280 Metern Höhe auf 550 Meter bringen).
Zum Glück hatten sich die letzten Tage bei unserer Kondition bezahlt gemacht und wir konnten das Herzstück der Etappe ohne Probleme bewältigen. Die Landschaft wurde zwar immer rauer aber nicht weniger schön. Schottland ist einfach herrlich mit seiner Weite, den Seen und Bergen. Natürlich sollte man dem Regen gegenüber nicht völlig negativ eingestellt sein. Hätten wir wetterfeste Kleidung in Form von Poncho, Schirm oder Hose dabei gehabt, wäre auch dieses Thema bei uns bestimmt in besserer Erinnerung geblieben. Womöglich hätte es eine einfache (funktionierende) Regenjacke auch getan. Aber wenn zu Hause eine Jacke vom Discounter als Regenjacke bezeichnet wird, kann man ja nicht ahnen, dass sie erstens nicht dicht ist und zweitens so schlechtes Material hat, dass man darunter so oder so klatsch nass ist vom Schweiß.
Ben Nevis beim nächsten Mal...
Auf der letzten Etappe kommt man dem höchsten Berg des vereinigten Königreichs, dem Ben Nevis, immer näher. Wir hatten uns überraschenderweise gegen eine Besteigung entschieden. Ob es an den 9 Tagesetappen zuvor lag oder am Wetter lassen ich mal dahingestellt.
Am Fuß des Ben Nevis in Fort William steht ein Schild, das einem bescheinigt den West Highland Way geschafft zu haben.
Ich hätte nie gedacht mich mal so über ein banales Schild zu freuen.
Solltet ihr dort am Schild irgendwann mal ausgezehrte Wanderer sehen dann fragt sie doch mal ob das ganze Gepäck die komplette Strecke getragen wurde. Meist hört man ein übertriebenes “Aber selbstverständlich. Nur dann hat man den Weg auch wirklich gemeistert!“.
Dann bitte direkt fragen ob man mal in den Rucksack schauen dürfte. Womöglich hört man dann ein peinlich berührtes „Das geht jetzt nicht“.
Zum Glück liegt der letzte Campingplatz ca. 3km vor dem Ende des Weges. Das bedeutet die meisten Wanderer legen die ganze schwere Ausrüstung am Camp ab und gehen dann mit dem großen aber leeren Rucksack zur Fotosession nach Fort William. Natürlich haben wir es auch so gehandhabt und wir wären nicht im Traum auf die Idee gekommen unser Gepäck krampfhaft länger zu tragen als nötig. Zu diesem Zeitpunkt waren wir einfach nur total stolz, unseren ersten Weitwanderweg mit 154km in 9 Etappen geschafft zu haben. Aus diesem Grund haben wir auch alles gekauft worauf zu sehen war, dass wir den WHW gemacht haben. T-Shirts, Aufkleber und Anhänger. Das T-Shirt wollte ich danach am liebsten immer tragen, so stolz war ich. Leider hat es überhaupt keinen interessiert bzw. wer liest schon was bei Anderen auf dem T-Shirt steht…
Die ganze Tour war eine krasse Erfahrung und auch ein verrücktes Wagnis. Körperlich und auch für uns als Paar. Woher soll man denn wissen wie der Andere so tickt auf der ersten langen Wanderung mit Übernachtungen im Zelt? Wie gehe ich damit um wenn der Partner völlig am Ende ist? Es gab zum Glück nie einen Moment in dem das ganze auf der Kippe stand oder wir die Tour abbrechen wollten. Vielleicht hatten wir abends auch einfach keine Kraft mehr zum Streiten. Heute können wir uns gegenseitig in solchen Stresssituationen natürlich viel besser einschätzen und haben über die Jahre gelernt den Partner und sein Befinden einzuschätzen. (Das klappt auf Reisen kurioserweise besser als zu Hause)
Schon damals haben wir uns überraschend gut ergänzt und auch die (vielen) üblen Situationen konnten wir mit Humor überstehen. Denn unser zweiter Leitspruch lautet: „Lachen hilft, selbst wenn es über uns ist“!
Heute lachen wir oft über unsere Ahnungslosigkeit von damals und dieser Urlaub wird immer ein ganz besonderer für uns beide bleiben. Beim schreiben dieser Zeilen denke ich darüber nach, ob es dieser Wanderurlaub war, der uns zu Wander-, Zelt- und Backpackerenthusiasten gemacht hat. Eine konkrete Antwort gibt es aber nicht. Es war einfach wie bei all unseren Urlauben. Das gute bleibt in Erinnerung und das negative würden wir beim nächsten Mal einfach anders machen oder versuchen es zu vermeiden. Gelernt haben wir aber definitiv selten so viel in so kurzer Zeit wie damals in Schottland.
Irgendwann gehen wir den Weg ein zweites Mal und schauen zum einen, ob Training, Equipment und Vorbereitung einen Unterschied machen und zum anderen, ob die Eindrücke für uns nach so langer Zeit, mit unserer größeren Erfahrung und auch der persönlichen Weiterentwicklung trotzdem die gleichen sind.
Das wird aber ein Abenteuer, dass auf einem anderen Papier geschrieben wird.